Stellungnahme zum Nordischen Modell / Sexkaufverbot (Anhörung im Landtag NRW am 14.01.2021)
Die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. unterhält als eigenständiger Verein mit langer Geschichte (seit 1918) im Dachverband des Diakonischen Werkes eine Fachberatungsstelle für Prostituierte und ehemalige Prostituierte. Ebenfalls unterhält die Mitternachtsmission eine spezialisierte Fachberatung für Opfer von Menschenhandel und ist in den innenministeriellen Erlassen des Landes NRW zum Schutz für Opfer von Menschenhandel als solche genannt.
Pro Jahr werden über 1000 Rat- und Hilfesuchende aus den unterschiedlichen Prostitutionsbereichen in Dortmund oder von Menschenhandel/ Zwangsprostitution betroffene Menschen durch die Dortmunder Mitternachtsmission beraten und unterstützt. Hinzu kommen die Kinder und andere Angehörige der Klient*innen.
Der Schwerpunkt unserer Beratungsarbeit mit Prosituierten liegt in der aufsuchenden Sozialarbeit/ Streetwork.
Die Ziele der Arbeit der Dortmunder Mitternachtsmission sind
- die Klient*innen darin zu unterstützen, ein eigenständiges, eigenverantwortliches Leben ohne finanzielle und emotionale Abhängigkeiten in Sicherheit und ohne Angst zu führen,
- eine Kriminalisierung der in der Sexarbeit tätigen Menschen zu verhindern
- sozialrechtliche Gleichstellung
- Beendigung von Stigmatisierung und Diskriminierung
Ausgangssituation
Seit einiger Zeit finden zum Teil harte Diskussionen zwischen unterschiedlichen Akteur*innen und Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft zu den Forderungen von Prostitutionsgegner*innen zur Einführung des sog. Nordischen Modells in Deutschland statt.
Das im Zusammenhang mit den Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bundesweit erfolgte Verbot legaler sexueller Dienstleistungen und die vorübergehende Schließung der Prostitutionsstätten haben nochmal zu einer Verschärfung der Forderungen und der Diskussionen geführt.
In erster Linie geht es den Prostitutionsgegner*innen um ein Sexkaufverbot, das im Nordischen Modell verankert ist, aber eigentlich eine Kriminalisierung der Prostitution bedeutet. Die Kunden werden bestraft, die/der Sexarbeiter*in soll straffrei die sexuelle Dienstleistung anbieten.
Die Befürworter*innen dieses Modells gehen davon aus, dass sexuelle Handlungen gegen Entgelt an sich Gewalt sind und dass Prostitution per se sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel ist. Alle Prostituierten werden viktimisiert. Auch die Sexarbeiter*innen, die diese Erwerbstätigkeit gewählt haben und gar angeben, diese gerne auszuüben, werden als Opfer dargestellt, die schwere Traumatisierungen durchlebt hätten, aber dies aufgrund der psychischen Folgen des Traumas nur nicht mehr wissen.
Prostitution in Deutschland ist legal und steuerpflichtig. Sie wird durch das Prostitutionsgesetz (ProstG) von 2002 und das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) von 2017 reguliert. Die Gesetze sollen gute und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Prostitution schaffen, vor Gewalt schützen und Ausbeutung und Menschenhandel bekämpfen. Die Bekämpfung von Ausbeutung und Menschenhandel wird u.a. in den §§232 folgende StGB geregelt. Das Ausnutzen einer Zwangssituation der von Menschenhandel Betroffenen durch Freier oder das Kaufen sexueller Handlungen gegen Entgelt durch Minderjährige, ist schon jetzt strafbar. Die Durchsetzung der Gesetze hängt maßgeblich von der Sensibilisierung und den Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden und der Unterstützungsstrukturen ab. Es gilt, die Gesetze konsequent umzusetzen, die Rechte der Betroffenen weiter zu stärken und die Unterstützungsstrukturen auszubauen
Es gibt also ein ausdifferenziertes gesetzliches Instrumentarium, das zwischen strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit Prostitution und freiwilliger Prostitution unterscheidet.
Die Befürworter*innen des Nordischen Modells, die dieses in der Regel nur sehr lückenhaft darstellen, erklären die gesetzliche Regulierung in Deutschland für gescheitert, ohne dass die gesetzlich festgelegte Evaluierung des Prostituiertenschutzgesetzes abgewartet wird. Mit einer Einführung des Nordischen Modells würden aber das ProstG und das Prostituiertenschutzgesetz, also die staatliche Regulierung und die darauf begründeten, dem Schutz der Prostituierten gedachten Maßnahmen, ausgehebelt. Das bedeutet z.B., dass es keine geschützten Arbeitsplätze für Prostituierte mehr geben kann oder der Prostitutionslohn nicht mehr eingeklagt werden kann.
Position der Dortmunder Mitternachtsmission e.V.
Prostitution ist gesellschaftliche Realität.
Prostituierte gehören einer gesellschaftlich stigmatisierten und stark diskriminierten Randgruppe an. Dies macht es vielen in der Prostitution Tätigen unmöglich, offen mit ihrer Tätigkeit umzugehen. Das Nordische Modell würde zu weiterer Stigmatisierung führen.
Prostitution ist sehr vielseitig und differenziert. Prostitution beinhaltet ein großes Spektrum an verschiedenen Arbeitsbedingungen, Arten der Dienstleistungen, der verschiedenen Ausübungsstätten, der individuellen Anforderungen und sozialen Hintergründe. Spricht man über „die Prostitution“ muss entsprechend sorgfältig differenziert werden. Zum Beispiel ist die Situation drogenabhängiger Beschaffungsprostituierter sicherlich anders zu bewerten, als die der Sexarbeiterin in der Bordellstraße, die dort ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie selbstbestimmt verdient.
Prostitution, Zwangsprostitution und Menschenhandel müssen aus unserer Sicht klar unterschieden werden. Prostitution ist gemäß Prostitutionsgesetz festgelegt als eine freiwillig erbrachte sexuelle Dienstleistung, die einen einvernehmlichen Vertrag zwischen erwachsenen Geschäftspartner*innen voraussetzt.
Ausbeutung, Zwangsprostitution und Menschenhandel sind sexuelle Gewalt und Verbrechen.
Die Forderungen der Befürworter*innen des Nordischen Modells beinhalten Ausstiegshilfen für Prostituierte. Die Einführung des Nordischen Modells ist dafür aber nicht notwendig.
Natürlich gibt es Prostituierte, die es vorziehen würden, ihren Lebensunterhalt durch eine andere Tätigkeit verdienen zu können. Uns sind auch Frauen bekannt, die die Tätigkeit psychisch und physisch nicht mehr ertragen können. Hier halten wir es für notwendig, entsprechende Alternativen anbieten zu können. Ausstiegs-/ Umstiegs Programme, die die besondere Situation von Menschen in der Prostitution berücksichtigen, sind flächendeckend notwendig. In Dortmund bieten wir seit 1985 sehr erfolgreich Ausstiegshilfen an, die sich an den individuellen Bedürfnissen und Lebenssituationen der Klient*innen richten. Hier ist die gute Kooperation mit den Dortmunder Behörden sehr wertvoll.
Da der Anteil der Sexarbeiter*innen mit Migrationsgeschichte sehr hoch ist, müssen sie aus unserer Sicht in ihren Rechten erheblich gestärkt werden. Dies gilt auch für die Arbeitsmigrant*innen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Die Gefahr, Opfer von Ausbeutung, Zwangsprostitution und Menschenhandel zu werden, ist bei Menschen, die als rechtlos wahrgenommen werden, sehr hoch.
Zu bedenken ist, dass viele der Frauen sich für die Prostitution entschieden haben, weil sich nicht Leistungen vom Jobcenter oder Sozialamt beziehen wollen. Sie empfinden es als sehr beschämend, wenn sie dann auf Sozialleistungen beschränkt werden, wenn sie nicht mehr in der Prostitution arbeiten. Dies wurde sehr deutlich, seit die legale Prostitution wegen der Corona bedingten Maßnahmen nicht mehr möglich ist.
Ein weiteres Hemmnis sind Vorurteile gegen die Betroffenen und die berechtigte Angst vor Diskriminierung.
Menschen, die mit psychischem Druck und Gewalt zur Prostitution gezwungen werden, Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel, müssen geschützt werden. Dies kann nur durch die konsequente Umsetzung der bestehenden Gesetze und die Stärkung der Schutzrechte der Betroffenen und dem Ausbau der Schutzstrukturen geschehen.
Schutz und Unterstützung ist natürlich immer davon abhängig, Betroffene als Opfer von Menschenhandel zu erkennen. Viele der Frauen und Mädchen, die von Menschenhandel betroffen waren, wurden von Freiern in Kontakt zur Mitternachtsmission gebracht.
Daher setzten wir eher auf das Verantwortungsgefühl der Männer, als auf eine Strafandrohung, die diese Unterstützung eher verhindern wird.
Bisher kennen wir keinen Fall, bei dem Freier, die die Situation der von Menschenhandel betroffenen Frauen ausgenutzt haben, bestraft wurde oder Menschenhandel und Gewalt verhindert hätten.
Das Verbot von Prostitution oder die Kriminalisierung der Nachfrageseite wird aus unserer Ansicht Ausbeutung, Gewalt und Menschenhandel nicht verhindern. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass Sexarbeiter*innen in Dunkelbereiche gedrängt werden und im Verborgenen arbeiten, um ihre Kunden vor Strafverfolgung zu schützen. Das bedeutet, dass sie ungeschützt sind und eher Opfer von Gewalt und Ausbeutung werden. Dritte, die die Situation ausnutzen und den Prostituierten vorgeben, Verdienstmöglichkeiten und Schutz zu vermitteln, bringen sie in Abhängigkeit und beuten sie aus. Selbstbestimmte Arbeit wird verhindert, Abhängigkeitsverhältnisse werden gefördert.
Die Hemmung, in dieser Situation Unterstützung und Hilfe bei Beratungsstellen oder Behörden zu suchen, wird dagegen höher. Für Beratungsstellen und auch die Behörden würde es sehr schwer bis unmöglich, die Prostituierten mit ihrem Beratungs-, Unterstützungs- und Schutzangebot zu erreichen.
Dieses Szenario können wir bereits in der jetzigen Situation beobachten. So wurden uns Fälle berichtet, in denen Prostituierte in andere Länder, z.B. nach Schweden gelockt wurden, wo sie unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten mussten/ müssen oder Opfer von Gewalt wurden.
Einige Frauen, die vorher angemeldet und legal in Clubs gearbeitet haben, sind ausgewichen auf den Straßenstrich in Dortmund, wo Prostitution generell verboten ist, und wurden bereits mit Bußgeldern belegt wegen verbotener Prostitution im Sperrgebiet und Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz.
Vertrauensaufbau zu Polizei und Behörden wird so zunehmend erschwert.
Metaanalysen haben gezeigt, dass jegliche Verbote mit einem höheren Risiko einer sexuell übertragenen Krankheit incl. HIV zusammen hängen. Gesundheitspräventive Angebote erreichen die Zielgruppe nur sehr schwer bis gar nicht, da die Chance der Kontaktaufnahme reduziert wird. Bestehende Präventions- und Beratungsangebote, die sich seit Jahren bewährt haben, würden deutlich erschwert.
Die Viktimisierung/ Zuschreibung der Opferrolle bzw. die Etikettierung als Opfer durch die Verfechterinnen des Nordischen Modells, wird von den Sexarbeiter*innen als extrem stigmatisierend und diskriminierend und beleidigend empfunden. Ihnen wird die Fähigkeit abgesprochen, selbstbestimmt über ihr Leben, ihren Körper und ihre berufliche Erwerbstätigkeit bestimmen zu können. Die Zuschreibung der Opferrolle ist unzulässig und schwächt die Position der Sexarbeiter*innen. Stattdessen fordern wir Maßnahmen und Reglungen, die ihre Rechte stärken und sie ermächtigt ein eigenständiges selbstbestimmtes Leben ohne Abhängigkeiten zu führen.
Das Ziel muss aus unserer Perspektive sein, Prostitution noch weiter ins Hellfeld zu ziehen. Durch die Stärkung der Rechte der Sexarbeiter*innen und durch den Aufbau Kommunikationsstrukturen, z.B. durch Runde Tische (Beispiel ; Dortmunder Modell Prostitution), kann eine weitgehende Transparenz im Prostitutionsmilieu geschaffen werden, durch die Schutz und gute Arbeitsbedingungen für die Sexarbeiter*innen geschaffen werden können.
Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) muss aus unserer Sicht so reformiert werden, dass die Rechte der Prostituierten gestärkt werden und Stigmatisierung und Diskriminierung beendet werden und die Hürden, Beratung und Unterstützung in Anspruch zu nehmen, abgebaut werden.
Dortmund, den 07.01.21
Andrea Hitzke