Die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. unterhält als eigenständiger Verein (seit 1918) im Dachverband der Diakonie eine Fachberatungsstelle für Sexarbeitende mit dem Schwerpunkt der aufsuchenden Sozialarbeit und ist seit 1995 spezialisierte Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Pro Jahr unterstützen wir rund 1000 Personen, davon 400 Betroffene von Menschenhandel.
Das sogenannte „Nordische Modell“ wird zunehmend und sehr emotional in der Öffentlichkeit diskutiert. Es handelt sich dabei um ein nahezu vollständiges Prostitutionsverbot, das Deutschland um mehrere Jahrzehnte zurückwerfen und Sexarbeit erneut in die rechtliche Grauzone drängen würde. In der Diskussion um ein Sexkaufverbot wird von seiten der Befürworter*innen pauschal von der Prostitution gesprochen, ohne die Diversität der verschiedenen Prostitutionsbereiche, der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, Motivationen und Voraussetzungen und Lebensbedingungen der in der Sexarbeit Tätigen zu berücksichtigen. Außerdem werden Sexarbeitende und Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gleichgesetzt. Aus unserer Sicht muss hier deutlich differenziert werden. Z.B. Beschaffungsprostituierte, die ihren Drogenkonsum durch Sexarbeit auf dem Straßenstrich finanzieren, sind anders zu sehen als Sexarbeitende, die als Escort tätig sind. Ebenso muss berücksichtigt werden, aus welchem Grund jemand in die Prostitution einsteigt.
Die Begriffe Elends- oder Armutsprostitution sind u.E. irreführend. Alle Sexarbeitenden bieten Dienstleistungen an, um Geld zu verdienen, wie andere Erwerbstätige auch.
Das wirtschaftliche Gefälle zwischen Deutschland und einigen Herkunftsländern führen zu der Hoffnung, hier mehr verdienen zu können und so Ihren Familien eine bessere Lebensperspektive verschaffen zu können. Sexarbeit ist für viele Frauen eine niedrigschwellige Möglichkeit in Deutschland Geld zu verdienen. Viele dieser Frauen machen das nicht gerne, sehen aber keine andere Möglichkeit. Der Ausstieg oder Umstieg ist gerade für diese Betroffenen aber sehr oft nicht möglich, da es keine Alternativen gibt und sie keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben. Wenn sie krank oder schwanger sind, werden sie mittellos, wenn sie nicht trotzdem weiterarbeiten. Müssen sie medizinisch behandelt werden oder ins Krankenhaus, werden sie mit hohen Schulden konfrontiert, wenn sie nicht krankenversichert sind. Eine Rückkehr in das Herkunftsland ist für viele jedoch keine Option.
Das zentrale Element des Antrages der CDU/CSU Fraktion ist ein Vergütungsverbot für sexuelle Dienstleistungen, auch als „Sexkaufverbot“ oder „Freierstrafbarkeit“ bezeichnet. Sexuelle Dienstleistungen dürfen nicht bezahlt werden, selbst wenn Sexarbeitende dies wollen. In der Praxis bedeutet dies, dass Sexarbeitende kein Recht haben, eine Bezahlung einzuklagen, während Kund*innen wegen „Sexkauf“ bestraft werden. Das bedeutet auch, dass Sexarbeitenden ihre wirtschaftlichen Rechte genommen werden und sie in prekäre und auch gefährliche Arbeitssituationen gedrängt werden.
Ein weiteres Element ist die Illegalisierung aller Arbeitsorte durch ein Bordellverbot. Sexarbeitende können keinen legalen Arbeitsort mieten, auch nicht allein oder zu zweit, was dazu führt, dass Arbeitsorte im kriminellen Bereich zu überhöhten Preisen gemietet werden müssen.
Außerdem stellt sich die Frage, wie die Abgrenzung erfolgen soll, wann aus der Prostitution einer anderen Person vorsätzlich eigener Nutzen gezogen wird. Auch Sexarbeitende unterstützen ihre Partner*innen, Eltern und erwachsenen Kinder, ohne dass sie von diesen ausgebeutet werden.
Arbeitsbedingungen und Sicherheit
Wir sind überzeugt, dass das „Sexkaufverbot“ und das Bordellverbot die Arbeitsbedingungen für Sexarbeitende erheblich verschlechtern würden. Ein Verbot von Bordellen und die Kriminalisierung des „Sexkaufs“ drängen die Sexarbeit in den Untergrund, wodurch die Bedingungen unsicherer und gefährlicher werden. Ohne die Möglichkeit, offen mit Kund*innen zu verhandeln, verschieben sich die Machtverhältnisse deutlich zum Nachteil der Sexarbeitenden. Dies führt unweigerlich zu einem erhöhten Risiko von Ausbeutung und Gewalt. Ein erneutes Verbot der Sexarbeit würde die aktuell über 30.000 legal arbeitenden Sexarbeitenden in die Illegalität und Arbeitslosigkeit treiben. Migrant*innen, die noch keinen Zugang zum deutschen Sozialsystem haben, würden gezwungen, illegal und ungeschützt zu arbeiten, um zu überleben. Dies ist während der Coronazeit deutlich geworden.
Angestrebte sichere und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Prostitution sind so nicht möglich.
Das bedeutet keine Verbesserung der aktuellen Situation, sondern eine deutliche Verschlechterung!
Vermischung von Sexarbeit und Zwangsprostitution
Wir betonen, dass es eine klare Unterscheidung zwischen freiwilliger Sexarbeit und Zwangsprostitution geben muss. Zwangsprostitution ist eine Straftat und Menschenrechts-verletzung und wird bereits strafrechtlich verfolgt. Die Vermischung dieser Begriffe in der öffentlichen Debatte führt zu einer verzerrten Darstellung und schadet nicht nur den Bemühungen, die Rechte von Sexarbeitenden zu stärken, sondern auch der Bekämpfung von Menschenhandel. Es würde deutlich noch schwieriger werden, diejenigen zu identifizieren, die Opfer von Menschenhandel geworden sind.
Stigmatisierung und Diskriminierung
Das „Sexkaufverbot“ und das Bordellverbot würden die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter*innen weiter verschärfen. Unterstützer*innen des „Nordischen Modells“ betonen offen, dass mit dem „Nordischen Modell“ die gesellschaftliche Verurteilung der Prostitution gefördert wird. Damit nehmen sie Stigma, Ausgrenzung und Verachtung der Sexarbeitenden billigend in Kauf. In Ländern mit „Nordischem Modell“ zeigen Studien, dass Kund*innen gewaltbereiter geworden sind. Wir fordern daher Maßnahmen, die diese Stigmatisierung abbauen und den Sexarbeitenden ermöglichen, in einem sicheren und unterstützenden Umfeld zu arbeiten.
Gefahren der Viktimisierung
Wir lehnen die pauschale Viktimisierung von Sexarbeitenden ab. Die Darstellung aller Sex-arbeitenden als unmündige Menschen und Opfer untergräbt ihre Selbstbestimmung und verstärkt das gesellschaftliche Hurenstigma. Stattdessen fordern wir Respekt und Anerkennung für die Autonomie und Entscheidungen der Sexarbeitenden.
Unterstützungsstrukturen
Wir begrüßen die Forderung, Beratungsangebote für Sexarbeitende auszubauen und zu fördern. Diese dürfen sich aber nicht auf Ausstieg begrenzen, sondern müssen auch Unterstützung, Beratung und Prävention für nicht Aussteigewillige beinhalten. Dafür bedarf es nicht neuer Modellprojekte. Alle bestehenden Beratungsstellen für Sexarbeitende bieten auch qualifizierte Angebote für den Umstieg an.
Es fehlt an ausreichender Finanzierung. Sexarbeitende ohne Anspruch auf Sozialleistungen, die aussteigen wollen, haben praktisch keine Möglichkeit zum Aus- oder Umstieg, wenn sie nicht direkt eine andere Arbeit finden.
Ein weiteres zentrales Problem, das durch das „Sexkaufverbot“ und das Bordellverbot entsteht, ist die Schwächung bestehender Unterstützungsstrukturen. Sexarbeitende würden schwieriger erreicht werden, der erforderliche Vertrauensaufbau in Beratungsstellen, Gesundheitsdienste und rechtliche Unterstützung und der Zugang zu notwendiger Hilfe erheblich erschwert. Wir betonen, dass das Vertrauen in diese Strukturen essenziell ist, um Sexarbeitende effektiv zu unterstützen und ihnen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen.
Migrant*innen in der Sexarbeit
Leider beinhaltet der Antrag der CDU/CSU für Migrant*innen nur Rückkehrprogramme für von Ausbeutung Betroffene, damit im Herkunftsland Unterstützungsangebote geschaffen werden können. Das reicht u. E. nicht aus. Nach unserer Erfahrung wollen die meisten Betroffenen nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren. Wir brauchen dringend entsprechende Maßnahmen, durch die die Betroffenen in Deutschland unterstützt und geschützt werden.
Wir sehen mit besonderer Sorge, dass das „Sexkaufverbot“ und das Bordellverbot die Situation von Migrant*innen, die in der Sexarbeit tätig sind, erheblich verschlechtern würden. Diese Gruppe ist ohnehin oft marginalisiert und von prekären Lebensbedingungen betroffen. Ein Verbot würde ihren Zugang zu sicheren Arbeitsbedingungen und sozialer Unterstützung weiter einschränken und ihre ohnehin schwierige Situation weiter verschärfen. Zudem wird die Tätigkeit von Migrant*innen in der Sexarbeit oft als Grund für Abschiebungen verwendet, was ihre oft prekäre Lebenslage noch weiter verschärft.
Rechtliche Grundlagen
Wir weisen darauf hin, dass das „Sexkaufverbot“ in Konflikt mit grundlegenden Menschen- und Grundrechten stehen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass Prostitution als Arbeit unter den Schutz der Berufsfreiheit fällt. Die Einführung eines Sexkaufverbots würde diese Rechte untergraben.
Symbolpolitik ohne Nutzen
Wir lehnen das „Sexkaufverbot“ auch deshalb ab, weil es lediglich Symbolpolitik darstellt, die den Betroffenen keinen tatsächlichen Schutz bietet. Studien und Erfahrungen aus Ländern, in denen ein solches Verbot bereits besteht, zeigen, dass die Prostitution dadurch nicht eingedämmt, Menschenhandel nicht verhindert wird und sich die Situation der Betroffenen nicht verbessert. Im Gegenteil, die Risiken von Gewalt und gesundheitlichen Problemen würde steigen, während die Ausbeutung nicht effektiv bekämpft wird.
Verdrängung in unsichere Arbeitsumfelder
Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass restriktive Verordnungen wie Sperrbezirks- oder Kontaktverbotsverordnungen nicht die Prostitution verhindern, sondern lediglich die
Arbeitsbedingungen vor Ort verschlechtern. Das „Sexkaufverbot“ und das Bordellverbot würden diese Dynamik weiter verstärken und die Ausbeutung begünstigen, indem sie Sexarbeitende in unregulierte und gefährlichere Arbeitsumfelder drängen.
Schutz durch regulierte Arbeitsstätten
Regulierte Prostitutionsstätten bieten wichtige Schutzmaßnahmen für Sexarbeitende, darunter z.B. Notfallanlagen bzw. -konzepte, Sicherheitsdienste und Alterskontrollen. Ein Verbot von Bordellen würde diese Schutzmechanismen zunichtemachen und neue, unkontrollierte Märkte für Zuhälterei und Ausbeutung schaffen. Wir fordern daher, dass bestehende regulierte Arbeitsstätten geschützt und weiterentwickelt werden, anstatt sie zu verbieten.
Anti-Diskriminierungsansatz
Wir fordern eine diskriminierungssensible und sexarbeitsfreundliche Auseinandersetzung mit der Thematik. Es ist essenziell, die vielfältigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeitenden anzuerkennen und ihre Stimmen in die Diskussion einzubeziehen.
Schlussfolgerung
Sexarbeit ist eine gesellschaftliche und soziale Realität in Deutschland. Eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden kann nicht durch Kriminalisierung oder das Verbot von sicheren Prostitutionsstätten erreicht werden, sondern nur durch die Stärkung ihrer Rechte und den Abbau von Stigmatisierung.
Wir fordern die Politik dazu auf, Sexarbeit als Arbeit anzuerkennen und die sozialrechtliche Gleichstellung von Sexarbeitenden zu forcieren. Die Diskussion über dieses Thema muss sachlich und unter Einbeziehung der Betroffenen stattfinden.
Wir fordern
- die Beibehaltung der Legalität der Sexarbeit in Deutschland inclusive der Schutz bietenden Arbeitsorte.
- eine Reform des Prostituiertenschutzgesetzes:
- Abschaffung von Maßnahmen, die eine Sonderbehandlung im Vergleich zu anderen Branchen darstellen (z. B. Anmeldepflicht, Ausweis, wiederholte Beratungspflicht)
- einheitliche Standards und Leitlinien für Beratungen von Sexarbeitenden
- Abschaffung aller Maßnahmen, die eher zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit der Sexarbeitenden führt.
- eine langfristige, kostendeckende und bedarfsgerechte Finanzierung der Beratungsstellen, die ergebnisoffene und bedingungslose Beratung (keine Bedingung des Ausstiegs) anbieten.
- einen erleichterten Zugang zu Krankenversicherungsschutz
- einen Zugang zu Sozialleistungen auch für die EU Bürger*innen.
- flächendeckende, kostenlose und anonyme Gesundheitsangebote, inkl. Untersuchungsmöglichkeiten
- Die Erfüllung der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag: Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel unabhängig von der Aussagebereitschaft
- Die Stärkung und konsequente Umsetzung der Opferrechte
- Die Bekämpfung des Menschenhandels über alle betroffenen Branchen hinweg
Andrea Hitzke, Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission e.V.